Psychosomatische Erkrankungen haben verschiedenste Auslöser und Faktoren, die sie begünstigen. Sie entstehen nicht ausschließlich durch intrapsychische oder biologische Prozesse, sondern können auch durch problematische Beziehungen, familiäre Disharmonien und andere biografische Faktoren, wie psychische Erkrankungen eines Elternteils, hervorgerufen werden. Dr. med. Daniela Neef, Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie in der BetaGenese Klinik in Bonn, arbeitet zur Behandlung heranwachsender Patienten mit der jeweiligen Biografie. Dazu gehört unter anderem die Genogrammarbeit. Hierbei wird der Frage nachgegangen, wie der Patient innerhalb seines Lebensumfeldes und Familiensystems zu dem geworden ist, der er oder sie jetzt ist. Welche bewussten oder bisher vielfach unbewussten Entscheidungen oder auch Zwänge führten dorthin? Durch die grafische Darstellung des eigenen Familiensystems können sich auch generationenübergreifende Beziehungsmuster zeigen.
Ängste, Erwartungen, Konflikte – Familie kann krank machen
Der Mensch ist ein soziales Wesen, das auf Beziehungen angewiesen ist. Besonders in jungen Jahren und im Stadium der Identitätsbildung sind es Beziehungen, die prägen – auf positive wie negative Weise. „Deshalb ist es wichtig, die Familie als Ganzes und die darin entstandene eigene Lebensgeschichte in der Therapie in den Blick zu nehmen. Familiäre Vorfälle, unbewusst zugeschriebene Rollen innerhalb der Familie oder die Erwartungshaltung der nahen Angehörigen, können zur Bildung von psychischen Störungen beitragen“, erklärt Daniela Neef, die unter anderem in systemischer Therapie ausgebildet ist. Mit ihren Patienten arbeitet sie intensiv daran, die sozialen Konstruktionen und Beziehungsmodelle, in denen sie leben, zu untersuchen und Ursachen sowie Lösungen für psychische oder psychosomatische Probleme zu entwickeln.
„Depressionen, Angststörungen, Essstörungen oder auch Traumafolge-Erkrankungen können aus Problemsituationen oder Traumata innerhalb der eigenen Biografie entstehen.Unausgesprochene Erwartungen im Elternhaus oder eine sich ankündigende Trennung sind beispielsweise symptomverstärkende oder -unterhaltende – und damit auch zu verändernde – Faktoren, die neben der biologisch begründbaren Vulnerabilität zur Entwicklung einer Essstörung beitragen können“, so Daniela Neef. In der Therapie werden genau solche Lebensabschnitte oder Konstellationen innerhalb der Familie untersucht und ein anderes Verhalten auf Problemsituationen kennen und anwenden gelernt.
Zusammenhänge „spielend“ verstehen
„Auch heranwachsende Patienten können oft noch nicht in Worte fassen, was sie belastet oder welche Rolle sie und die anderen Familienmitglieder im Familiengefüge zurzeit innehaben“, beschreibt die Medizinerin weiter. Hierbei helfen die Verbildlichung und Symbolisierung. In einer Box in ihrem Büro hat sie viele verschiedene Tierfiguren für genau diesen Zweck. „Es beginnt bei der Tierauswahl. Wem wird welches Tier zugeordnet und die damit verbundenen Eigenschaften zugeschrieben? Als was und wo sieht der Patient sich selbst dabei? Welche Lebensumgebungen brauchen die ausgewählten Objekte? Solch konkretes und zugleich symbolisierendes Arbeiten an den Stellvertreterfiguren fällt oft leichter und eröffnet schneller neue unerwartete Handlungs- und Veränderungsspielräume.“
Mit den Tieren können Patient und Therapeut visualisieren, sich hineinversetzen, wie sich neu gewählte Positionen anfühlen. Vielleicht ändert auch die Positionsverschiebung eines „Mutter- oder Vatertieres“ etwas? Neef: „Das fördert auch die Mentalisierungsprozesse. Die Patienten erproben, die aktuelle Situation aus der Distanz wahrzunehmen und können im geschützten Therapieraum Handlungs- und Veränderungsmöglichkeiten ausloten.“
Individuelle Therapieformen für eine ganzheitliche Behandlung
Genogramm- und „Spielraum-Arbeit“ sind nur zwei der möglichen Therapieinhalte, die Daniela Neef in der BetaGenese Klinik in Bonn anwendet. Je nach Patientengeschichte und Beschwerdebild nutzt sie auch psychopharmakologische, psychoedukative und vor allem psychodynamische Therapieelemente. Wenn notwendig kommen auch imaginative und stabilisierende Techniken zum Einsatz, insbesondere bei Patienten mit traumatischen Lebenserfahrungen. Selbstverständlich gehört bei den jungen Menschen der konkrete Einbezug der Familie in Form von Familiengesprächen zur Basis jeder Therapie. „Die Arbeit mit der Biografie, dem eigenen Leben sozusagen, halte ich für zentral. Wir finden den Ursprung in der Vergangenheit und lernen durch die Therapiearbeit, den jetzigen Zustand aus anderen Perspektiven zu sehen und im Idealfall zu akzeptieren, um die Zukunft gesünder gestalten können.“